Durch die Wahl der richtigen Schicht bot sich mir die Gelegenheit, mit beiden Stiefgeschwistern in Ruhe zu sprechen. 

Am späten Nachmittag beim Holzhacken mit Thomas begann ich ihn zunächst über das Leben in Woodland Green zu befragen. Wir verstanden uns gut, also fragte ich ihn schließlich, ob schon mal jemand von hier weggelaufen sei. Da wurde Thomas schlagartig ernst und sah mich lange durchdringend an. Ich wich seinem Blick aus und entschuldigte mich bei ihm. Offensichtlich musste ich das Thema vorsichtiger angehen. Also arbeiteten wir eine Weile still nebeneinander her, bis Thomas langsam wieder auftaute. Es war eindeutig, dass ihn etwas beschäftigte. So gab er sich letztlich einen Ruck und begann zu erzählen. 
„Meine Stiefschwester wird vermisst, niemand weiß, wo sie ist ... vielleicht ist sie weggelaufen. Sie hatte ständig dumme Ideen, hat sich zu viel mit diesem Alex rumgetrieben und ist am Donnerstagnachmittag zum Beispiel zu Daves Mansion gegangen. Als ob sie einfach so dort reinspazieren könnte! Manchmal war sie schon merkwürdig naiv ... ist nirgends ohne ihre Taschenuhr oder ihr Lilien-Armband hingegangen und hat alles in ihr Tagebuch geschrieben, als wäre es das Wichtigste auf der Welt. Eigentlich sollen wir nicht über sie reden, aber ich vermisse sie und habe Angst, dass ihr etwas passiert sein könnte“, schloss er traurig. 
War das echte Trauer? Oder spielte er mir nur etwas vor?

Als Emily und ich abends nach dem Essen beim Putzen einen Moment alleine waren, versorgte sie mich ungefragt mit dem neusten Klatsch. So erfuhr ich einige interessante Details zu den Gemeindemitgliedern, wie über die Abneigung zwischen Noah und Alex. Es war nicht schwierig, sie auf das Thema Abigale zu bringen. Emily schien wenig enttäuscht darüber zu sein, dass ihre Stiefschwester verschwunden war.
„Sie hielt sich immer für etwas Besseres. Es ist, als würden für sie die Regeln nicht gelten. Vielleicht weil sie Dave so ähnlich sieht ...“, erzählte sie mir. „Erst am Mittwoch hat sie sich wieder davongeschlichen. Die Prügel, die sie dafür von Vater bekommen hat, scheinen wohl nicht gereicht zu haben. Noah kann froh sein, dass seine Verlobte weg ist. Sie hätte ihm überhaupt nicht gutgetan und zu hübsch ist er auch für sie! Er sollte lieber mich heiraten.“
„Wann hast du sie denn zuletzt gesehen?“, fragte ich vorsichtig. 
„Das war am Donnerstagabend, als sie sich vor dem Abendessen weggeschlichen hat. Vermutlich zu diesem Schrein, den sie häufig aufsuchte. Es würde mich nicht wundern, wenn sie einen heimlichen Freund hat ...“
Ich wollte gerade zu meiner nächsten Frage ansetzen, doch leider wurden wir von anderen Putzkräften aus derselben Schicht unterbrochen. Ich musste also an anderer Stelle nach weiteren Informationen suchen.